SEITE TEILEN AUF

1. Relevanz des Themas Jugend und Corona

Jugendliche haben durch die Auswirkungen der Corona-Krise ein hartes Los gezogen: sie fühlen sich, als würden sie auf der Stelle treten, nicht weiterkommen und die beste Zeit ihres Lebens verpassen. Doch es geht bei der Corona-Jugend um mehr als Home-Schooling oder Party-Verbote. Jugendlichen fehlen aufgrund der Corona-Pandemie Raum, Förderung und Perspektiven für die persönliche Entwicklung. Sie kämpfen unter erschwerten Bedingungen für einen guten Abschluss und den Übergang ins Berufsleben. Aufgrund der demographischen Entwicklung und zunehmender Staatsverschuldung sind die Systeme sozialer Sicherung unter Druck. Die Zukunft des Wohlstands hängt davon ab, ob Jugendliche und junge Erwachsene die Corona-Pandemie persönlich und beruflich erfolgreich bewältigen.


2. Jugend und Corona FAQ 2021

Ist Generation Corona ein passender Generationenbegriff für die Jugend? 

Ja und Nein. Solange wir mitten in der Corona-Pandemie mit ihren immensen Auswirkungen auf Jugendliche stecken, wirkt er passend. Doch er ist nicht zeitlos, wie der Begriff Generation Z, der Jugendliche der Geburtsjahrgänge 1995 bis 2009 zusammenfasst. Auf lange Sicht finde ich den Begriff “Generation Reset” passender, weil auf das Reset im Leben der Jugend ein Neustart folgt, der von der Jugend maßgeblich mitgestaltet werden wird. Auf jeden Fall lehne ich den Begriff “Generation Lost” ab, weil damit die Jugend vorschnell zum Scheitern verurteilt würde.

2.1. Jugend und Corona Maßnahmen

Wie ist die Stimmung unter den jungen Leuten nach einem Jahr Corona-Krise?
Schlecht. Sie sind einsam, unmotiviert und es fehlt die Perspektive, worauf sie sich freuen können, oder wofür es sich lohnt zu lernen und sich anzustrengen. Erschreckend viele junge Menschen sagen, dass sich ihre psychische Gesundheit verschlechtert hat. 

Wie gehen Jugendliche mit den aktuellen Beschränkungen um?
Ich habe mit der aktuellen Studie „Junge Deutsche 2021“ im November 2020 die Generation Z befragt und aktuelle Interviews festigen diese Ergebnisse: Die überwiegende Mehrheit nimmt Rücksicht und verhält sich solidarisch. 72% der Generation Z halten sich an die AHA-Regeln (Abstand halten, Hygienevorschriften und Alltagsmaske tragen), 69% nehmen Rücksicht um Freund:innen und Familie nicht zu gefährden und 62% finden es wichtig auf Partys zu verzichten. 

Warum verhalten sich Jugendliche so rücksichtsvoll?
Weil rücksichtsloses Verhalten bedeuten würde, ihre Freund:innen und Familie in Gefahr zu bringen und dass sie zur weiteren Ausbreitung des Virus beitragen würden und die Corona-Einschränkungen noch länger dauern. Jugendliche wollen, dass Corona endlich vorbei ist. Ich beobachte allerdings auch, dass das Verständnis für die Auflagen nachlässt. Seit der zweiten Corona-Welle hat die Wut auf die gefühlt planlose Corona-Politik unter Jugendlichen stark zugenommen.

Gibt es Jugendliche, die sich weniger rücksichtsvoll verhalten?
Wir haben in einer Sonderauswertung der Studie “Junge Deutsche 2021” die Rücksichtslosen genauer angeschaut. 3% halten der Generation Z  in Deutschland halten sich gar nicht an die AHA-Regeln und 24% nur zum Teil. Gerade männliche Jugendliche und insbesondere die mit geringerem Bildungsniveau halten sich (eher) nicht an die Beschränkungen.

2.2. Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Jugend

Was hat die Pandemie mit ihnen gemacht?
Die Pandemie hat ihnen einen wichtige Erfahrungen geraubt, um zu leben, zu lernen und ihre Persönlichkeit zu entwickeln. Überlegen Sie einmal, was Sie gemacht  hätten, wenn man sie mit 16, 19 oder 23 für ein Jahr eingesperrt hätte. Es ist bemerkenswert, wie solidarisch sich die Jungen verhalten.  

Warum trifft die Corona-Krise die Jugend besonders hart?
Jugendliche sind durch die Corona-Krise stark in ihrer persönlichen Entwicklung eingeschränkt. Anders als ältere Menschen versuchen Sie herauszufinden, wer sie sein und was sie tun wollen. Sie erlernen körperliche, geistige und soziale Kompetenzen, für die sie auf das Miteinander mit anderen im schulisch-beruflichen Kontext, in der Freizeit, im Sport, im Engagement etc. angewiesen sind. Insofern erlebt die Jugend eine wichtige Orientierungsphase im Leben in einer auf das Smartphone reduzierten, digital ernüchternden Form. 

Werden Jugendliche Nachteile im Berufsleben haben?
Bildungsforscher sprechen von lebenslangen sozialen Narben, wenn junge Menschen beim Übergang ins Berufsleben scheitern. Das schlimme ist, dass je länger der Schwebezustand anhält, das Selbstwertgefühl nachlässt. Die haben sich ja vorbereitet und können jetzt nicht loslegen. Es wäre hilfreich, wenn sie nicht einfach weiter Bewerbungen schreiben, sondern sich engagieren und im Tun Sinn erfahren. Auch wenn es nicht ist, wofür sie gelernt haben.

Kann man von einer verlorenen Jugend sprechen?
Auf jeden Fall müssen wir von einer anderen Jugend sprechen. Die Corona-bedingten Erfahrungen und Einschränkungen lassen viele typischen Jugenderfahrungen wie Feiern, Dating und Sexualität, Reisen und berufliche Perspektiven nicht oder nur mit Einschränkungen zu. Während andere von ihrer Jugend als die beste Zeit ihres Lebens schwärmen, müssen sich diese Jugendlichen mit den Einschränkungen arrangieren und das beste daraus machen. 

Gibt es Jugendliche, die von der Corona-Krise besonders betroffen sind?
Besonders hart trifft es sozial Benachteiligte, die keine finanziellen Rücklagen haben und den Job verlieren, die in beengten Verhältnissen wohnen und keinen Rückzugsort haben, bei denen die Familie zeitlich oder emotional keinen Rückhalt bieten kann und die es sich nicht leisten können und / oder damit überfordert sind, ihre Kinder bei der Umstellung auf digitales Unterrichten und gesellschaftliches Miteinander umzustellen.  

Warum trifft Corona Jugendliche in beruflichen Übergängen besonders?
Junge Menschen, die kurz vor oder im Übergang zum Berufsleben stehen, die Schule abschließen und eine Ausbildung oder ein Studium starten (wollen), werden häufig von Sinnkrisen und Existenzängsten geplagt. Sie haben lange auf ihren Abschluss hingearbeitet, für den sich jetzt gefühlt niemand interessiert. Sie haben (bald) einen Abschluss in der Tasche, der vielleicht das Stigma “Corona-Abschluss” bekommt und ihnen schlechtere Chancen gibt. Je länger der Schwebezustand zwischen Abschluss und Übergang dauert, desto weniger wertvoll und selbstbewusst fühlen sie sich. Damit nimmt die Beschäftigungsfähigkeit ab und die psychische Belastung steigt. Das macht die Situation so akut. 

Wie geht es Jugendlichen, die an eine neuen Ort ziehen?
Für Auszubildende oder Studierende, die eine Stelle oder ein Studium in einer neuen Stadt anfangen, ist es besonders schwer, sozial anzukommen. Es ist extrem schwer neue Leute kennenzulernen und die meisten Kontakte sind rein digital. Auf diese Weise bleibt ihnen eine neue Stadt fremd und das unterstützende wie auch motivierende Umfeld von Kolleg:innen oder Kommiliton:innen verwehrt. 

Was macht die Corona-Pandemie mit Studierenden?
Das ist natürlich auch Typ-Sache und hängt stark davon ab, wie gut ein junger Mensch sich selbst organisieren, strukturieren und motivieren kann. Doch es fehlen sämtliche Orte und Gelegenheiten des Miteinanders und dessen, was Studentenleben sonst ausmacht: in der Bib lernen, auf Parties freuen, mit Freund:innen abhängen, in den Ferien Praktika machen und Reisen und die Karriere planen. Viele kämpfen zudem damit, sich ihr Studium weiter leisten zu können, weil ihre Einkünfte aus Nebenjobs krisenbedingt weggefallen sind. Es gab wohl noch nie so viele Jugendliche, die aus dem Kinderzimmer bei ihren Eltern studiert haben wie jetzt. Die Studienmotivation lässt aufgrund des Online-Studiums stark nach. Studienberatungen sprechen immer häufiger von psychischer Insolvenz, weil viele Studierende an ihre Grenzen stoßen und wenige Tipps, die sonst helfen würden gerade umsetzbar sind. 

Gibt es viele Jugendliche mit finanziellen Problemen?
Ja. Bei der Befragung “Junge Deutsche 2021” haben 29% der 14-24-Jährigen (Generation Z) berichtet, dass sich ihre finanzielle Situation durch die Corona-Krise verschlechtert hat. Die Gründe dafür sind vielfältig: Verlust von Jobs oder Nebenjobs, Eltern die ihren Job verloren haben oder in Kurzarbeit sind und weniger verdienen, selbständige Tätigkeiten sind durch die Corona-Bestimmungen unmöglich geworden etc. Die Konsequenzen finanzieller Probleme sind nicht immer existenziell, doch sie bedeuten immer einen Verlust an Wohlstand.

2.3. Auswirkungen im Freizeitverhalten

Wie wirken sich Einschränkungen im Vereinsleben und der Kultur aus?
Viele Jugendliche definieren sich gerade in der Jugend über ihr Hobby oder Engagement. Denen kommt durch die Corona-Pandemie häufig eine wichtige Stütze und Struktur im Leben abhanden: das Hobby als Schule des Lebens, Jugendleiter:innen als Vorbild und Inspirationsquelle, Auftritte als Ansporn um Durchhaltevermögen zu üben. 

Was macht die Digitalisierung mit der Kultur aus Sicht der Jugendlichen?
Ein Konzert oder Festival digital zu besuchen ist mit einem physischen Event nicht zu vergleichen. Ein echtes bzw. Real Life Event ist ein sozialer Erfahrungsraum, der davon lebt, dass Menschen sich zufällig begegnen, mit unterschiedlichen Sinnen wahrnehmen und aufeinander einlassen können. Digitale Kulturerlebnisse sind eine schöne Abwechslung, können aber das Live-Erlebnis nicht ersetzen. Dadurch geht viel Vertrauen und Miteinander verloren. 

Gibt es positive kulturelle Entwicklungen durch die Digitalisierung von Kultur?
Sehr interessant ist, in welchem Maß Jugendliche auf Plattformen wie TikTok und Discord neue kulturelle Formen und Formate entwickeln und pflegen. Und Online-Games zeigen schon lange, wie auch digital tiefe Freundschaften durch die gemeinsame Bewältigung von Abenteuern entstehen können.

2.4. Sicht der Erwachsenen auf Jugend und Corona

Wie unterscheidet sich die jugendliche von der erwachsenen Pandemie-Erfahrung?
Der größte Unterschied liegt in der Lebensphase: Erwachsene haben häufig ihren beruflichen Weg gewählt, sind häufig bereits in einer festen Beziehung, an einem Ort angekommen und haben Kinder. Jugendliche haben all diese Entscheidungen und Lebensphasen noch vor sich, sind häufig Single und fühlen sich sehr einsam. 

Wie gehen Arbeitgeber oder Ausbilder:innen mit Jugendlichen in der Krise um?
Ich muss leider feststellen, dass viele Arbeitgeber noch nicht erkannt haben, von welchem Ausmaß diese Veränderungen für Jugendliche sind. Durch die distanzierte Arbeit im Homeoffice oder in der Produktion ist viel von dem Zusammenhalt und dem Spaß an der Arbeit verloren gegangen und viele Jugendliche leiden psychisch. Es würde (nicht nur den Jugendlichen) helfen, wenn in digitalen Meetings häufiger eine Runde mit der Frage kommt “Wie geht es dir/euch?”. 

Taugen die Älteren in der Krise als Vorbilder?
Darauf gibt es zwei Antworten: In den Familien sind Ältere und Jüngere so sehr zusammengerückt wie noch nie. Da ist vieles gut gelaufen und Junge haben viel Unterstützung erfahren. In den Systemen läuft vieles verkehrt. Die Älteren versuchen ihre Systeme zu erhalten und eigene Interessen durchzusetzen, wodurch die Jüngeren verlieren. Sie sollten mehr Freiräume schaffen, dass Neues und krisenfeste Lösungen für die Zukunft entstehen können.  

2.5. Werte und Zukunft nach der Corona-Krise

In welche Richtung werden sich die Jugendlichen orientieren?
Die meisten investieren in Bildung. Sie setzen also nochmal eine Ausbildung, Spezialisierung oder ein Studium drauf, in der Hoffnung, dass sie irgendwann die richtigen Skills haben, um einen guten Job zu bekommen. Mein Tipp wäre eher, durch Engagement an Arbeitspraxis und Kontakte zu kommen und auf diesem Weg durchzustarten. 

Haben die Klima- und Corona-Krise die Werte-Einstellungen der Jugend verändert?
Die meisten Werte sind stabil über die Jahre, auch wenn sich die Bedeutung etwas verschoben hat. Der wichtigste Wert der Generation Z ist Vertrauen und er zweitwichtigste ist Gesundheit. Dass der Wert Nachhaltigkeit im Werte-Ranking der Generation Z weit abgeschlagen ist hat mich überrascht. 

Was macht es mit der Jugend, dass sie von der Politik nicht beteiligt wird?
Sie haben das Gefühl, der Politik bzw. dem System egal zu sein. Und das obwohl von dem erfolgreichen Übergang ins Berufsleben abhängt, wie gut die Jungen einmal die sozialen Systeme tragen und sichern können. Wenn die Erwartungen an die Jungen steigen und das Gefühl der Unterstützung ausbleibt, kann das zu Systemfrust und Aufstand führen. 

Wie kann Politik gegensteuern, dass wir die jungen Leute nicht verlieren?
Nicht nur verbieten, sondern auch anfangen Dinge zu erlauben beispielsweise mit lokalen Safespaces, wo Vereinsarbeit oder Sport unter Hygieneauflagen für Jugendliche möglich ist, so wie Prüfungen oder Arbeit halt auch. Und mit lokalen Zukunftswerkstätten für Städte und Gemeinden, um Jungen und Älteren zu signalisieren, dass diese Krise zu groß für die Politik allein ist. Das Ziel: alle Bürger:innen wissen, dass sie einen wichtigen Beitrag leisten können und sollen, um die Krise zu bewältigen.


3. Jugend und Corona Studien und Literatur-Tipps

COPSY-Studie von der Forschungsabteilung Child Public Health am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

2021: COPSY-Studie


Quality of Life and Mental Health in Children and Adolescents during the First Year of the COVID-19 Pandemic in Germany: Results of a Two-Wave Nationally Representative Study.

zur COPSY-Studie

Cover Sonderauswertung: Jugend und Corona (Jugendstudie)

November 2020: Jugend & Corona in Deutschland


Jugend und Corona in Deutschland (Sonderauswertung der Studie “Junge Deutsche 2021” von Simon Schnetzer und Prof. Klaus Hurrelmann)

zum Paper Jugend & Corona in Deutschland

Cover JuCo-Studie

Mai 2020: JuCo-Studie der Universitäten Hildesheim, Frankfurt und Bielefeld


Erfahrungen und Perspektiven von jungen Menschen während der Corona-Maßnahmen (JuCo-Studie der Universitäten Hildesheim, Frankfurt und Bielefeld)

zur JuCo-Studie

DIE STUDIE "JUNGE DEUTSCHE 2021"PUBLIKATION

Die Studie „Junge Deutsche 2021“ präsentiert die Lebens- und Arbeitswelten der Generation Z & Y mit Themen, Trends und Tipps, um junge Menschen zu verstehen, begeistern und binden.

  • Die 10 Trendthemen der Generationen Z & Y für 2021
  • Ergebnisanalyse, Interpretation und Trendauswertung zu jedem Thema
  • Generationen im Vergleich: Unterschiede zwischen Gen Z und Gen Y
  • Die Basis für Miteinander und Verständnis zwischen Generationen
PUBLIKATION "JUNGE DEUTSCHE 2021" KAUFEN

4. Fazit: Perspektiven für die Jugend in Zeiten von Corona

Beteiligung ist der Schlüssel

Meine größte Sorge ist, dass junge Menschen aufhören, an sich zu glauben. Es ist ihr Recht, die Zukunft für sich zu beanspruchen. Sie verhalten sich sehr solidarisch und die große Frage ist, was wir ihnen als Gesellschaft und Politik dafür zurückgeben können. Die einfache Antwort ist: Beteiligung. Junge Menschen sollen die Krise nicht als unabwendbares Schicksal erleben, sondern durch Beteiligung merken, wo und wie sie sich gestaltend einbringen können. Wenn junge Menschen im Übergang drohen stecken zu bleiben, empfehle ich, sich zu engagieren, auch wenn das nicht der Wunschplan war. In diesen Zeiten ist es wertvoller, etwas zu tun und durch andere Erfahrungen dazuzulernen, als darauf zu warten, bis der ursprüngliche Plan wieder aufgeht.