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Zusammenhalt - Solidarität der Jugend in der Corona-Pandemie: die Geduld schwindet - Tim Samuel - Pexels
© Tim Samuel bei Pexels

Wie hoch ist die Bereitschaft der jungen Generation zur Solidarität, trotz ihrer erheblichen Belastungen und Einschränkungen durch die Corona-Pandemie? Die Gewissenhaftigkeit, mit der sich die junge Generation an die Regeln und Auflagen hält lässt nach. Die Gründe dafür und warum die Jugend jetzt Solidarität für sich einfordert, zeigt dieser vorab veröffentlichte Auszug aus der aktuellen Studie “Jugend und Corona in Deutschland (Sommer 2021).


Im Herbst 2020, zum Zeitpunkt unserer ersten Sonderstudie “Jugend und Corona in Deutschland” machten „Corona-Partys“ Schlagzeilen. Im Sommer 2021 sind es Krawalle in mehreren deutschen und österreichischen Städten, die sich daran entzünden, dass sich einige Gruppen von Jugendlichen nicht mehr an wichtige Corona-Verordnungen halten – wie Maske tragen, Abstand halten, Ausgangssperren einhalten und Alkoholverbote beachten. Um die Situationen im Vergleich einschätzen zu können, haben wir uns entschieden, einen Teil der Fragen aus der Erhebung im Herbst 2020 (vor Beginn der dritten Welle der Pandemie) bei der aktuellen Befragung im Mai 2021 (in der Phase des deutlichen Abklingens der dritten Welle) in unveränderter Form erneut zu stellen, um Trends und wichtige Veränderungen im Zeitverlauf zu beobachten. Die wichtigsten Ergebnisse finden sich in Abbildung 8.

Grafik - Einschätzungen - Solidarität in der Pandemie

Solidarität der Jugend in der Pandemie: Erschöpfung zeigt sich

Auffällig ist die nach wie vor hohe Bereitschaft der überwiegenden Mehrheit der befragten 14-29-Jährigen sich an die AHA-Regeln zu halten, sowie die Solidarität gegenüber Freund:innen und Familienmitgliedern. Wie Abbildung 8 zeigt, ist es auch im Sommer 2021 für zwei Drittel der Befragten wichtig, sich an die Regelungen von Abstand, Hygiene und Alltagsmaske zu halten. 61% verhalten sich nach ihren eigenen Angaben rücksichtsvoll, um Freund:innen und Familie zu schützen. 60% geben an, dass sie es wichtig finden, wegen der Corona-Pandemie auf Feiern und Partys zu verzichten. Diese Einstellungen sind deshalb bemerkenswert, weil Jugendliche und junge Erwachsene ihr gesundheitliches Risiko durch eine Infektion als sehr niedrig einschätzen und ihre psychischen Gesundheitsrisiken durch die Regeleinhaltung als sehr hoch bewerten. Hinzu kommt, dass die Risikogruppen, welche es bisher zu schützen galt, mittlerweile geimpft sind. Junge Menschen stellen sich jetzt die grundsätzliche Frage, wen es noch zu schützen gilt.


Die Jugend fordert Freiheiten, Beteiligung und Solidarität von den Älteren

Diese Veränderung zeigt sich auch in dem statistischen Trend: In allen drei Bereichen sind die Prozentwerte aktuell niedriger als noch im Herbst 2020. Die Disziplin der Jugend lässt beim Einhalten von Regeln, der Rücksichtnahme im Privaten sowie beim Verzicht auf Feiern und Partys unverkennbar nach. Hier zeigt sich klar die Erschöpfung der Jugend und wir beobachten erste Anzeichen, dass sich die junge Generation zunehmend gegen die Regeln stellt und ihre Bedürfnisse auch unter Inkaufnahme von Regelverstößen durchsetzt. In persönlichen Gesprächen zeigt sich auch das Unverständnis für die anhaltend restriktiven Regelungen, obwohl sämtliche Risikogruppen bereits geimpft sind. Es ist nicht mehr zu übersehen, dass sich hier der Beginn eines Wandels der Einstellungen abzeichnet, auf den die Politik dringend reagieren sollte – nicht mit Härte, sondern mit konsequenter Beteiligung und mehr Freiheiten für die Jugend.


Gründe für den Wandel der Solidarität

Aus unseren Interviews lässt sich deutlich erkennen, dass die zwei wichtigsten Gründe für diesen Wandel das Empfinden von Ungerechtigkeit im Umgang mit den Geimpften und die unerträgliche psychische Belastung nach über einem Jahr Ausnahmesituation sind: Auf die jungen Leute wirkt das Aussetzen der restriktiven Regeln für bereits Geimpfte irritierend, weil sie selbst bisher kein Impfangebot erhalten haben. Und sie wägen ganz rational ab, ob sie sich durch Regeleinhaltungen weiteren psychischen Schaden zufügen sollen. Warum nimmt die Solidarität der Jugend in der Pandemie ab? In der Summe sorgt das bei vielen von ihnen für Frustration. Dazu kommt, dass die Solidarität und Rücksichtnahme der Jugend seit über einem Jahr von der Politik immer wieder gefordert und bislang nicht belohnt wird.


Stimmen der Jugend: Erwartungen an die Politik

Nach mittlerweile 6 Monate langem Lockdown kann und will ich nicht mehr. Ich will wieder Spaß haben und Freunde und Familie mit gutem Gewissen treffen können.

(Dual Studierender, 21, Baden-Württemberg)

 

Freiheiten dort, wo es möglich ist, anstatt alles zu zu machen, weil anderes auch zu ist.

(Schüler, 16, Hessen)

 

Dass klare und einheitliche Regeln aufgestellt werden, und dass diese sich nicht alle zwei Wochen ändern.

(Auszubildende, 18, Saarland)

 

Man hat ja schon gesehen (z. B. #allesdichtmachen), dass man seine Meinung nicht frei äußern darf, ohne gleich verurteilt zu werden. Ich wünsche mir mehr Akzeptanz für alle Meinungen und mehr Konsequenz in den Regierungsentscheidungen.

(Schülerin, 17, Bayern)

 

Mehr Rücksicht auf junge Menschen, die gerade die beste Zeit ihres Lebens verpassen, die ganze Zeit auf die älteren Menschen Rücksicht genommen haben und nun in der Impfstrategie ausgelassen werden, obwohl unser Leben mit am meisten von dem Virus beeinflusst wird.

(Schülerin, 16, Bayern)


Unterschiede innerhalb der jungen Generation bzgl. Solidarität

  • Jungen Frauen ist die Rücksichtnahme auf andere wesentlich wichtiger als jungen Männern: Einhalten der AHA-Regeln (w = 70%, m = 62%), rücksichtsvolles Verhalten, um Freund:innen und Familie nicht zu gefährden (w = 65%, m = 57%), auf Feiern und Partys verzichten (w = 64%, m = 57%). Zu der höheren Rücksichtnahme passt auch, dass junge Frauen eher als junge Männer die Sorge haben, die schönste Zeit des Lebens zu verpassen (w = 57%, m = 41%).

 

  • Je höher der Bildungsabschluss, desto mehr Rücksicht nehmen junge Menschen auf andere und sind bereit auf Partys zu verzichten. Unter den Hochschulabsolventen sind 72% bereit, auf Feiern und Partys zu verzichten, unter Abiturient:innen sind es 68%. Werte für andere Abschlüsse: Meister- / Techniker-Schule = 61%, Ausbildung = 61%, Fachhochschulreife = 51%, Realschulabschluss / Mittlere Reife = 48% und Hauptschulabschluss = 44%).

Fazit zur Solidarität der Jugend in der Pandemie

Die große Mehrheit der jungen Generation zeigt nach wie vor ein hohes Ausmaß von Bereitschaft, die Schutzregeln während der Pandemie einzuhalten und Solidarität gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen auszuüben. Ebenso wie bei der Befragung vor einem halben Jahr überwiegen Disziplin und Vernunft, vor allem bei den gut gebildeten jungen Leuten mit nach wie vor aussichtsreichen beruflichen und persönlichen Perspektiven. Sie verhalten sich rücksichtsvoll und solidarisch, obwohl sie ihr eigenes gesundheitliches Risiko durch eine Corona-Infektion als sehr klein einschätzen.

Allerdings ist im Zeitvergleich der Trend einer Veränderung nicht zu übersehen: Die Bereitschaft, sich an die Regeln zu halten und Rücksicht zu nehmen, nimmt ab. Und die Gruppe wächst, die unter den Einschränkungen und Belastungen leidet, die sich ihnen im Alltag und mit Blick auf die Zukunft stellen. Die Interviews mit der jungen Zielgruppe im Rahmen dieser Erhebung zeigen deutlich, dass die Stimmung in dieser Gruppe aktuell am Kippen ist, weil sie die Freiheiten für bereits geimpfte Personen als ungerecht empfinden, solange nicht alle ein Impfangebot bekommen haben.